Der Niederrhein ist nicht Belgien, und ein verlassener Hof ist kein Vergleich zum Kasteel van Mesen. Trotzdem gibt es auch hier noch mehr zu entdecken als nur Natur und Landschaft.
Unweit von Rees liegt eine alte Ziegelei, die durch den charakteristisch schiefen Schornstein schon von weitem auffällt. Ein paar Menschen aus der Umgebung, die ich dort antraf, sprachen von der Ziegelei "Muhr". Ich kann das zwar nicht verifizieren - die Firmen-Website listet in Ihrer Geschichte diesen Standort nämlich nicht auf - jedoch möchte ich der Einfachheit halber diesen Namen weiter verwenden.
Von weitem sieht der weitläufige Komplex relativ intakt aus - erst beim nähertreten ist der Zerfall der Hallen in seinem ganzen Ausmaß zu sehen. Das Gelände ist in Teilen fast hüfthoch mit Brennnesseln und Disteln zugewachsen. Mittendrin versteckt sich ein kleines Haus, in dem Pflanzen bereits bis zur Zimmerdecke gewachsen sind.
Vor der Ziegelei befindet sich hinter Bäumen und Buschwerk versteckt ein altes, repräsentatives Wohnhaus. Selbst von der nahen Straße ist es kaum erkennbar. Die Zeit hat dem Haus übel mitgespielt: an der Frontseite klafft ein breiter Riß im Mauerwerk, weiter hinten ist bereits ein Teil zusammengestürzt. Trotzdem verströmt es noch immer eine gewisse verträumte Attraktivität, die mich vermuten lässt, dass hier einst der Besitzer der Ziegelei gewohnt haben mag. Später zogen sozial weniger privilegierte Menschen ein und nun wird das Umfeld des Hauses als wilde Müllkippe benutzt.
Im Inneren findet sich vom alten Kinderwagen, über Auto-Batterien bis zu kaputtem Spielzeug diverses Gerümpel. Die schönen alten Fliesen gehen darunter ebenso unter wie das Klavier im Schutt des eingestürzten Hinterhauses.
Nachtrag 2017:
Auch 12 Jahre nach meinem Besuch ist es fast unmöglich, im Netz nähere Informationen zu der Ziegelei zu finden. Die gesamte Gegend war früher reich an Ziegel- und Klinkerwerken. Im benachbarten Emmerich gründete ein Johannes Pastor 1875 eine Feldbrand-Ziegelei bei Hüthum. Diese verblieb in Familienbesitz bis zum Tod seiner Enkel bei der Bombardierung Emmerichs im 2.Weltkrieg.
Danach wurde die Ziegelei Ignaz Pastor im Jahr 1948 an die Firma Püttmann veräußert, die aber bereits 1954 in die Pleite ging.
Im März 1956 erschien dann die Firma H.W. Muhr auf der niederrheinischen Ziegelei-Bühne. Eigentlich aus dem Sauerland stammend, musste man dort einen Standort aufgeben und siedelte nun nach Emmerich um. Bis zum heutigen Tag wurde das Werk in Emmerich immer wieder erweitert und modernisiert. 1991 wurde ein weiteres Werk in Lichterfeld übernommen.
Und Rees? Kein Wort in der Firmengeschichte über den Standort Rees. Nach wie vor basiert die Benennung der Ziegelei und der Villa in Rees auf einer mündlichen Auskunft - und wurde in den letzten Jahren an zahlreichen Stellen im Internet weiter fort gepflegt. Heute ist der Name "Muhr" quasi fest verankert mit diesem Standort in Rees - und mit ein bisschen Schadenfreude denke ich an den Moment, wenn sich herausstellen sollte, dass der eigentliche Name vielleicht doch ein ganz anderer war ...
Ziegelei Ignatz Pastor / Heinrich W. Muhr in Emmerich-Hüthum
Etwa einen halben Kilometer entfernt befand sich früher die Ziegelei Boers. Sie diente während der NS-Zeit zur Unterbringung von Zwangsarbeitern, darunter viele aus dem benachbarten Holland verschleppte Männer.
1944/1945: Das Zwangsarbeiterlager in Rees
Auf Seite 40 des folgend verlinkten Dokuments gibt es einen Hinweis auf eine Ziegelei, die von Muhr aufgekauft und bald geschlossen wurde - um damit einen Konkurrenten zu beseitigen. Dieses Ziegelwerk "van Bebber" zeichnete sich gegenüber anderen Ziegeleien der Umgebung dadurch aus, dass es über einen besonders hohen Kamin verfügte, der bei heißem Wetter für einen wesentlich besseren Luftzug am Ofen sorgte. Etwa ein Kamin wie bei der hier vorgestellten Ziegelei?
Panneschöpper - Vom Leben der Ziegelarbeiter am Niederrhein