Das meiste Leben herrscht hier noch auf dem Friedhof. Toiano ist ein kleines toskanisches Bergdorf, von dem nur noch ein Haus am Ende der Dorfstraße bewohnt ist. Für die dort ebenfalls lebende gewaltige Dogge war meine Kamera zu langsam - hier möge sich der geneigte Leser sein eigenes Bild im Kopf erzeugen: eine holprige Straße, links und rechts verfallene Häuser und am Ende beherrschend in der Mitte stehend die Dogge. In der realen Situation rutschte mir das Herz doch ein wenig in die Hose ...
Auf welcher Seite das Erstaunen über die unerwartete Begegnung nun größer war, ist schwer zu beurteilen, denn das Leben spielt sich hier paradoxerweise auf dem vorgelagerten Friedhof ab: Bewohner der Umgebung pflegen noch immer die alten Gräber. Im Ortskern selber hat ein Hund daher nur wenig Abwechslung mit fremden Besuchern ...
Toiano blickt auf eine rund 1300-jährige Siedlungsgeschichte zurück. Etwa 500 Einwohner soll es in seiner damaligen Blütezeit um das Jahr 1500 einmal gehabt haben. Ohne Wasserquelle war das Leben im Ort sehr beschwerlich und so verwundert es nicht, dass die Bevölkerung nach und nach abwanderte. Insbesondere in den 1960er Jahren setzte überall in Italien eine starke Landflucht ein, die auch vor Toiano nicht halt machte. Dort oben auf dem Hügel waren die Menschen vom Fortschritt abgeschnitten, es gab nur eine Zufahrtstraße, die immer mal wieder durch Erdrutsche blockiert war. Kein Wunder, dass man sich nach einem modernen Leben in einer Stadt mit regelmäßigen Einkünften sehnte.
Toiano stand lange Zeit zum Verkauf und wartete auf finanzkräftige Investoren oder Liebhaber, die sich an der Restauration versuchen wollten. Völlig irrsinnig erscheint dies nicht - zahlreiche Gehöfte und Borgos wurden in den letzten Jahren zu Luxusdomizilen umgewandelt oder wurden wiederbesiedelt wie z.B. das inzwischen bekannte Civita di Bagnoregio.
Bei uns in Deutschland mag Toiano ziemlich unbekannt sein, in Italien war das nicht immer der Fall. Am Tag der Fronleichnamsprozession im Juni 1947 wurde unweit des Borgos die übel zugerichtete Leiche der 22-jährigen Bauernmagd Elvira Orlandini (genannt "Bella Elvira") gefunden. Sie arbeitete im Haushalt der Villa der reichen und mächtigen Schweizer Familie Salt in Toiano. Beim Wasserholen an der Quelle im Wald "Botro della Lupa" war sie vergewaltigt worden und mit durchschnittener Kehle liegen gelassen worden. In Verdacht gerieten ihr oft eifersüchtiger und streitbarer Freund Ugo, sowie ein aus Rom zugezogener Sohn der Familie Salt, der Elvira umwarb und Ugo drängte, die geplante Heirat mit Elvira bleiben zu lassen. Ugo war mit blutiger Hose in seinem Bett aufgefunden worden, sein Alibi war dürftig. Allerdings passten seine Schuhe nicht zu den Abdrücken, die am Tatort gefunden wurden.
Die Zeitungen veranstalteten über das Verbrechen einen ziemlichen Wirbel, der die Untersuchungen nahezu unmöglich machte. Der Freund wurde unter erheblichen Protesten der Dorfbevölkerung gefangen genommen - jedoch nach 2 Jahren in einem Prozess aus Mangel an Beweisen wieder frei gesprochen. Der Prozess war geprägt von einer geballten medialen Aufmerksamkeit, zeitweise harrten bis zu 2000 Menschen vor den Gerichtsgebäuden in Pisa und Florenz aus, es gab diverse Tumulte und Saalräumungen.
Ugo Ancilloti, der damalige Freund von Elvira, verstarb 2013 im Alter von 91 Jahren. Bis zum Schluß hatte er seine Unschuld beteuert. Bis heute ist nicht klar, wer den Mord begangen hat. Bereits während des Verfahrens legten Erzählungen den Grundstock zu einer urbanen Legende, wonach der Geist von Elvira bis heute in einem blutroten Kleid um die Häuser von Toiano zieht und Gerechtigkeit fordert.
Video: Urbex Toiano (il paese della bella Elvira)
Toiano - "Il Borgo della Bella Elvira"
L’omicidio di Elvira Orlandini, la bella Elvira
Drohnenvideo: Toiano il Borgo dimenticato
Toiano, il misterioso borgo fantasma in Toscana
englischer Text