Belgien ist übersät mit Chateaus und Villen, deren Erbauer und Besitzer ihren Reichtum den ehemaligen kolonialen Zeiten verdanken. Auch im kleinen Örtchen Vyle hat diese Zeit bzw. ihre Folgen eine inzwischen unangenehme Spur hinterlassen. Das - zumindest - sagt das allwissende Internet. Danach hat der letzte Besitzer des Chateau de Vyle sein Vermögen in Afrika gemacht - was dem Chateau den Szenenamen "Congo" eingebracht hat.
Nun steht der Klarnamen bereits auf etlichen Webseiten, der Urbex-Run auf dieses Gemäuer ist längst vorüber und in einem Monat sollen nun endlich die geplanten Umbaumaßnahmen starten. Insofern sehe ich kein Problem mehr darin, nach knapp 5-jähriger Wartezeit die Bilder zu veröffentlichen und dabei den Realnamen der Location zu nennen.
Das Chateau de Vyle wurde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder um- und ausgebaut, was zu einem uneinheitlichem Baukörper geführt hat. Die Aneinanderreihung verschiedener Gebäudeabschnitte wirkt daher etwas willkürlich und wenig souverän. Ich fürchte, dass man das auch bald über die geplanten Baumaßnahmen sagen wird. Vom Chateau werden wenig mehr als straßenenseitige Fassadenteile bestehen bleiben, die dann in einem "modernen" Stil erweitert werden. Nur wenig der alten Bausubstanz wird somit erhalten bleiben. Als Grund wird angegeben, dass deren Erhaltungszustand zu schlecht sei - ein Argument, dem ich leider auch nicht vehement widersprechen könnte. Die Ursache dafür liegt aber wohl teilweise auch in den Abrissmaßnahmen der vergangenen Jahre.
Bei meinem Besuch waren die Folgen von vorbereitenden Maßnahmen bereits zu sehen. Möbel, die kurz zuvor noch auf Fotos der Innenräume zu sehen waren, lagen nun zertrümmert auf dem Hof. Schutt aus Räumen und Fluren war nach draussen gebracht worden. Wer bis jetzt noch nicht das bekannte Motiv der Polstermöbel unter dem Deckendurchbruch im Kasten hatte, kam also zu spät. So wie ich.
Bezüglich der Geschichte des Chateaus wird schon mal auf Funde römischer Münzen und Keramik verwiesen mit der Vermutung, dass dort eine römische Villa gestanden haben könnte. Beides ist aber nicht zwingend miteinander verbunden und so würde ich diesem Gedankengang bis auf weiteres nicht folgen wollen.
Auch hinsichtlich der Bauzeit finden sich unterschiedliche Angaben: der Kern des heutigen Schlosses soll um 1820 erbaut worden sein- wohingegen sich straßenseitig Mauern mit Farbe aus dem 17.Jahrhundert nachweisen lassen. Diese stammen wohl offensichtlich von einem nicht weiter beschriebenen Vorgängerbau. Chronologisch folgend wird das Jahr 1740 (also 18.Jahrhundert) als Entstehungsjahr des Vorgängerbaus erwähnt. Die Widersprüchlichkeit der beiden Angaben ist offensichtlich.
Vyle war lange Zeit ein Lehen derer von Wynansraede, zu Beginn des 19.Jahrhunderts war der Ort in den Besitz der Familie von Pierre Joseph Francotte-Lamarche übergegangen. Auf diese Industriellenfamilie gehen die meisten der bestehenden Gebäudeteile zurück. Laut urbex.nl folgten ihr als Besitzer Graf Alphonse de Meeus und die Baronin d'Overschie de Neeryssche, in deren Zeit eine Reihe von Erweiterungen und Restaurierungen fielen. Während des zweiten Weltkriegs wurde die Anlage sowohl von deutschen, als auch später von amerikanischen Truppen als Quartier benutzt. In der Nachkriegszeit geriet das Chateau in den Besitz des anfangs erwähnten Unternehmers, dessen Vermögen jedoch irgendwann soweit geschmolzen war, dass er keine Wartungsarbeiten mehr finanzieren konnte oder wollte. Auf ihn geht wohl auch die Demontage von Parkettböden und Mauerwerk zurück, zudem hinterließ er unbezahlte Verwaltungsstrafen. Es begann der Niedergang des Chateau de Vyle.
Was ich nicht recht glauben mag, ist das Jahr 2010 als Zeitpunkt der Nutzungsaufgabe. Vielleicht gilt dies für den angegliederten Wirtschaftshof, die massiven Schäden am Chateau deuten jedenfalls auf einen wesentlich längeren Leerstand hin. Denn so schnell stürzen ganze Decken normalerweise nicht ein.
Seit 2016 gehören Grund und Bau dem Lütticher Bauunternehmen Cop & Portier, das wohl auch für die bereits durchgeführten Aufräum- und Abrisstätigkeiten verantwortlich ist. Ein erster Projektentwicklungsplan wurde abgelehnt und danach weitere Vorstudien erstellt. Nun sollen im Mai 2021 endlich die Umbauarbeiten zu einer Apartment-Anlage beginnen.
Le patrimoine monumental de la Belgique, S.607 (Google Books)
Chateau Vyle bei Urbex.nl
Projektvorschau (L'Avenir, Jan.2021)
Video aus dem Sommer 2015, noch voll mit Gerümpel
englischer Text