Denkt man heutzutage an Höhlenwohnungen, sind es wohl die Sassi im süditalienischen Matera, die einem zuerst in den Sinn kommen. Carlo Levi rückte sie in das Blickfeld der Öffentlichkeit und inzwischen gehören sie zum Weltkulturerbe. Gleichwohl sind sie nicht die einzigen Höhlensiedlungen Italiens - in der Toskana stellt Vitozza die größte Ansammlung dieser Siedlungsform in Mittelitalien dar, die dort in Einzelfällen noch bis in das ausgehende 18.Jahrhundert bewohnt wurde. Aus dieser Zeit gibt es Unterlagen, die einzelnen Höhlen ganz konkrete Personen als Bewohner zuordnen können.
Vitozza war eine mittelalterliche Stadt, die sich über einen langezogenen Bergsattel erstreckte. Ihre Unterstadt war gespickt mit hunderten von Höhlen zum wohnen, arbeiten und für Stallungen, während es in der Oberstadt mit ihren Häusern, dem Schloß und den Kirchen "zivilisierter" zuging. Geblieben ist davon nur ein durchlöcherter Tuffsteinhügel und einige Ruinen auf seinem Plateau.
Der weiche Tuffstein in der italienischen Maremma diente bereits den Etruskern als Baumaterial, in ihn schnitten sie ihre Totenstädte und Großgräber, Tempel und die berühmten Hohlwege. Und so waren es auch schon Etrusker und Römer, die die künstlichen Höhlen unterhalb des späteren Vitozza nutzten. Vitozza ist als Stadt aber erst zum Ende des 11.Jahrhunderts gegründet worden und hatte zu dieser Blütezeit um die 7000 Einwohner. Keine kleine Stadt zur damaligen Zeit und von durchaus regionaler Bedeutung. Sie gehörte anfangs dem Adelsgeschlecht der Aldobrandeschi, wechselte über die Jahrhunderte aber mehrfach die Eigentümer um im ausgehenden 15.Jahrhundert zum Besitz der Familie Orsini zu gehören.
Zu diesem Zeitpunkt war die Einwohnerzahl bereits stark gesunken, möglicherweise als Folge andauernder kriegerischer Auseinandersetzungen. Vitozzas Restbevölkerung hielt sich noch bis zum Ende des 18.Jahrhunderts. Wahrscheinlich wäre sie dort auch noch geblieben, aber sie mussten sich dem Druck des toskanischen Großherzogs beugen, der ihre Umsiedlung erzwang.
Dies ist nun gut 200 Jahre her, seitdem ist Vitozza eine Geisterstadt und über diese Zeitspanne sind keine Informationen zu bekommen. Wo sind die gemauerten Fassaden der Höhlen geblieben? Was ist aus den Häusern der Oberstadt geworden? Wurden sie als Steinbruch zur Gewinnung von Baumaterial wieder verwendet? Oder wurden sie zerstört und liegen nun unter Aufschüttungen verborgen? Übrig geblieben sind die Ruinen einer der drei Kirchen und Befestigungen, die die Zugänge und das Zentrum schützten. Und natürlich die gut 200 Höhlen der Unterstadt, bei denen man heute noch verschiedene Typen unterscheiden kann:
• Schlichte rechteckige Höhlen dienten als Stall für Nutztiere und zeigen Futterrinnen und Wassertröge. Sie befinden sich überwiegend auf der kühleren Schattenseite des Felsens.
• Eine zweite Form zeigt die Kombination von Wohnraum und seitlich abgetrenntem Stall.
• Auf der süd-westlichen Sonnenseite gibt es überwiegend Wohnhöhlen, die Rauchabzüge und eingearbeitete Lagerflächen besitzen. Darunter befinden sich sogar zweigeschossige Exemplare, bei denen die untere Höhle auch schon mal dem Vieh vorbehalten war.
Nach außen waren diese Wohnhöhlen durch Wände und Fenster abgeschlossen. Wie das einmal ausgesehen hat, kann man sich auf dem Zufahrtsweg ansehen - dort werden noch immer Höhlen als Garage benutzt. Im Abschnitt eines alten Stalls steht nun landwirtschaftliches Gerät, im mutmaßlichen früheren Wohnbereich ist die Höhle vermauert und hat eine hölzerne Eingangstür. Es existieren auch Sonderformen der Höhlen - beispielsweise für die Lagerung von (Bau-)Materialien oder die Herstellung von Waren (z.B. die Gerberei mit ihrem Aussenbereich). Das aus römischer Zeit stammende Columbarium diente der Taubenzucht. Wegen Einsturzgefahr ist es nicht mehr betretbar. Überhaupt ... an diversen Stellen sind Einbrüche zu sehen, mnchmal massiv, manchmal nur Schuttansammlungen im Inneren. Die Erosion arbeitet sich langsam aber beständig durch die Siedlung und vor allem nach längeren Regenperioden kommt die Statik an ihre Grenzen.
Im Herbst 2008 hatte ich Vitozza fast für mich alleine, nur wenige Wanderer lenkten ihre Schritte hier her. Der Zugang war kostenlos und die Stunden, die ich hier verbrachte, reichten beileibe nicht aus um sich alles anzusehen. Wobei allerdings auch der Entdeckergeist nach und nach schwand, denn die Höhlen sahen sich doch zunehmend immer ähnlicher.
Die Höhlensiedlung Vitozza (visittuscany)
Vitozza: die geheimnisvolle Höhlenstadt (Maremma Geheimtipp)
Die Höhlenstadt Vitozza (Planet Outdoor)
Vitozza in Maremma Tuscany Italy the lost cliff dwelling city
Video: Vitozza tra Storia Natura e Archeologia
englischer Text