Der Spurensammler
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Das Ende ist nahe


Text vom Juli 2021

Was so bedrohlich klingt, bekommt hier nun eine doppelte Bedeutung. Zum einen kann man es verstehen als Zustandsbeschreibung für viele der besuchten und hier gezeigten Gebäude und Orte. Und dann gibt es noch eine weitere Bedeutung: mir langt es. Seit Ende der 90'er Jahre zeige ich hier verlassene Gebäude, aber nun mag ich nicht mehr.

Das Alter:
Laufen, klettern, springen, kriechen, stundenlang mit 10kg im Gepäck Treppen rauf und runter laufen, Kniebeugen ohne Ende bei Kamera-und Objektivwechseln ... irgendwann geht das nicht mehr so wie früher. Die Knochen werden langsam müde, das Alter fordert seinen Tribut. Und damit werden etliche Locations unerreichbar, die vor 30 Jahren vielleicht nur eine mittlere sportliche Herausforderung waren. Aber mit fast 60 Jahren muss ich mir eingestehen, dass ich mich nun in einem anderen Lebensabschnitt befinde.
Die fehlende Mobilität:
Seit nahezu 2 Jahren lebe ich autofrei und bin seitdem nicht mehr richtig unterwegs gewesen - und so kann man tatsächlich auch leben. Aber urbexen ohne ein langstrecken-taugliches Fahrzeug ist quasi undenkbar. Mal eben mit dem Rad nach Belgien oder in den wilden Osten radeln? Illusorisch. Und die unmittelbare eigene Heimat? Wandelt sich in stetem Abriss und Neubau. Aber das ist hierzulande schon soweit erprobte Routine, dass den Gebäuden keine Zeit mehr bleibt für gepflegten Zerfall. Also mehr oder minder uninteressant.
Die Ermüdung:
Über all die Jahrzehnte habe ich wohl zuviel Zerfall gesehen. Die Ästhetik des Zerfalls ermüdet inzwischen nur noch und läßt mich mehr und mehr emotionslos zurück. Und Emotionslosigkeit ist Gift für die Fotografie, die dann nur noch aus Routine besteht. Objekte wiederholen sich, Flure, Türen, leere Räume. Dazu der immens gestiegene Vandalismus, der nur noch frustriert und den niemand in den Griff bekommen wird. Wirklich interessante und intakte Objekte sind nur noch mit verstärktem Aufwand zu finden und zu besuchen. Oder man hat die entsprechenden Kontakte, die einen mit Hinweisen versorgen.
Werte:
Es war immer schon eine Gratwanderung. Und damit meine ich nicht die rechtliche Situation, wenn ich mir ein verlassenes und verfallenes Objekt angesehen habe. Jeder der diesem Hobby nachgeht kennt die Grauzone, in der man sich bewegt und die sehr schnell in eine schwarz-weiße Welt umschlagen kann. Umso wahrscheinlicher, je mehr Leute sich an solchen Orten herum treiben und Öffentlichkeit erzeugen.
Aber da ist noch etwas anderes. Das öffentliche und das private. Eine verlassene Fabrik oder eine alte Klinik sind entkoppelt von Einzelschicksalen, private Wohnungen sind das nicht. Gerade die sind aber in den vergangenen Jahren verstärkt in den Fokus der Szene geraten. Für mich eine in seiner Vehemenz abstossende Entwicklung. Dahinter stehen persönliche Katastrophen die nicht das Futter für Selbstinszenierungen hergeben dürfen. Und dann gibt es noch Katastrophen wie die Flutschäden im Juli 2021. Wie kann man sich dann noch am Zerfall und seinen Spuren erfreuen, wenn anderen Menschen ihre Existenz genommen wird und sie nur noch von Trümmern umgeben sind? Da setzt dann ein zusätzlicher Wertekonflikt ein.
Die Szene:
Ende der 90'er Jahre kannte man sich quasi persönlich, vielleicht zwei Dutzend Leute verstreut über Mitteleuropa. Und heute? Bei Facebook sehe ich Gruppen mit 16.000 oder 17.000 Mitgliedern, sogar mehr als 72.000 sind Realität. Ich habe mich immer gefragt, was all die Leute in den Ruinen wollen. Leute, die erst durch einen äußeren Anreiz dazu gebracht wurden sich für dieses Thema zu interessieren. Keine Ahnung, was heute die Szene ausmacht. Ich habe mich schon immer gerne davon fern gehalten, habe mich häufig über die Auswüchse geärgert. Und miterleben müssen, wie die Bezeichnung "Urbexer" einen mehr und mehr schlechten Ruf bekam. Das Hobby hat sich überlebt, geschluckt von den Eitelkeiten, die über "soziale" Medien verbreitet werden.
Geht es hier weiter?
Jein. Ich werde das tun, was ich in den letzten zwei Jahren gemacht habe: ich arbeite mein Archiv auf, publiziere noch Fotos vergangener Exkursionen. Manches davon durchaus sehenswert, anderes eher höchstens dritte Wahl. Egal. Je nach dem, wie zügig ich damit verfahre, ist Ende 2021 Mitte 2022 Schluß, vielleicht auch etwas früher oder später. Die alten Galerien bleiben im Netz, solange ich mir den Auftritt leisten kann. Werbung hat es hier auf den Seiten nie gegeben und wird es nicht geben.
Und ansonsten? Ich werde weiterhin fotografieren und hin und wieder etwas davon auf den Portfolio-Seiten publizieren. Und vielleicht finde ich noch das eine oder andere lokalhistorische Thema, das mein Interesse weckt. Mehr braucht kein Mensch.
Was bleibt?
Die Erinnerung an viele spannende Touren, häufig alleine, aber öfter noch in Begleitung von netten und interessanten Menschen, denen ich hier noch mal Dank & Grüße ausrichten möchte: Daniel H., Markus, Christian, Carmen, Renate, Patrizia, Daniel S., Karola, Patrick, Luc, Ilja, Rita, Frank, Dirk, Bernhard, Kiki und meinen Fotomodellen von früheren Fotosessions.

Quelle: www.lipinski.de/spurensammler/ende.php
Abgerufen: 20.04.2024 - 04:34 Uhr
Autor: Klaus Lipinski, Düsseldorf
Email: info(at)lipinski.de
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