Jahre hat es gedauert, bis ich den Weg hierher nach Bomarzo gefunden habe. Bereits zu Schulzeiten faszinierten mich die Bilder der steinernen Ungetüme, die uns unser Kunstlehrer zeigte. Nun war es endlich so weit: zwei Wochen lag ich in Lauerstellung um das erhoffte weiche Licht zu bekommen. Und wie das nun mal so ist - natürlich vergebens, denn erst am Folgetag zogen die gewünschten Wolken auf. Leider zu spät für mich ...
Auch sonst hielten sich Faszination und Enttäuschung die Waage. Der Park ist inzwischen touristisch stark erschlossen, ein happiges Eintrittsgeld ist zu zahlen. Dafür hat man dann auch Spielgeräte aufgebaut und einen Fußballplatz angelegt, Wege eingezäunt und Fotoverbots-Schilder aufgestellt. Letztere galten wohl eher für mich (nachdem man mir schon die Mitnahme meines Stativs untersagt hatte) und nicht so sehr für das Erotik-Shooting mit einem dutzend Leuten, die ständig das Zentrum der Anlage blockierten und von trillerpfeifenbewehrten Wachposten umgeben waren. Einen einmaligen Park der manieristischen Phantastik hatte ich mir anders vorgestellt ...
Und trotzdem kam an diesem besucherarmen Herbsttag doch noch etwas von der Stimmung herüber, die hier schon seit Jahrhunderten herrscht. Nicht so sehr wegen der wenigen unrenovierten überwucherten Wege, die man noch abseits der Hauptwege finden kann. Es ist einfach so, dass die großen Steinfiguren so komplett anders sind als das, was man sonst von klassischen europäischen Skulpturen gewohnt ist. Mit ihren überzogenen und verschobenen Proportionen könnten sie auch einem Stein gewordenen (Alp-)Traum entsprungen sein, der hier seit 1552 in jahrzehntelanger Arbeit entstand.
Kaum vorstellbar, dass dieser an sich wunderbare Garten fast 350 Jahre lang vergessen und überwuchert vor sich hin schlummerte, bis er zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt wurde. Ich beneide im nachhinein die Besucher, die ihn damals noch so erlebt haben - darunter auch der Surrealist Salvador Dali, der 1938 der erste prominente Besucher war und in dessen Werk eindeutige Zitate aus Bomarzo zu finden sind. Seit etwa 60 Jahren ist der Garten nun touristisch erschlossen, seitdem Giancarlo und Tina Severi Bettini den Park 1954 erwarben und renovierten. Ihr Grab findet sich im Tempelbauwerk, das eigentlich den klassischen Abschluß eines Rundgangs bildet und dessen Anfang einst der Zugang durch das schwindelerregende schiefe Haus darstellte.
Der Skulpturenpark bei Bomarzo verwirrt auch heute noch diejenien, die sich auf eine Deutung einlassen wollen. Verschiedene Interpretationen stehen nebeneinander, mehr oder weniger schlüssig. Inzwischen scheint akzeptiert zu sein, wonach sich zumindest die Großskulpturen auf die Geschichte vom "Rasenden Roland" ("Orlando Furioso") von Ludovico Ariosto beziehen. Vicino Orsini, der von Bomarzo aus herrschende regionale Feudalherr, war der in Geschichte und Literatur bewanderte Planer und Bauherr des Parks. So verwundern auch nicht die zahlreichen Zitate der klassischen Antike. Vicino Orsini begann 1552 mit der Anlage des Parks und widmete ihn später seiner 1564 verstorbenen Frau. Zu allererst war er aber ein Gegenentwurf zu den damals modernen geometrisch durchstrukturierten Gärten des Adels. Hier in Bomarzo wurden nahezu alle Prinzipien der Gartengestaltung ins Gegenteil verkehrt. Aus gerade wurde krumm, aus wohlproportionierten wurden inkohärente Körperdimensionen. Alles sollte zu einem Wunder für den Betrachter verschmelzen. Zum Wunder gehört das Staunen, das Rätseln - und genau das ist auch Jahrhunderte später noch an diesem Ort möglich.
La villa dei mostri - historischer Kurzfilm von 1950
Video: Besuch von Salvador Dali im November 1948
Video vom Tourismusverband: Bomarzo e il Parco dei Mostri
Sacro Bosco di Bomarzo - offizielle Website
S.Remé: Bomarzo, der Park der aus dem Rahmen fällt
Der heilige Wald von Bomarzo - Gartenbaukunst im Manierismus
Historische Aufnahmen von Herbert List (1952)