Ein Gebäude, das es ohne Vermutungen über Paralleluniversen gleich zweimal gibt? Bei Reihenhäusern nicht ungewöhnlich, aber bei Sport- und Theatergebäuden sicher eine außerordentliche Seltenheit. Und genau die haben wir hier vor uns.
Das Zwillings-Exemplar steht in Jemeppe-sur-Sambre und wird weiterhin genutzt. Aber dieses hier, in Charleroi gelegen, ist inzwischen zu einer komplett vandalisierten Ruine verkommen. Bereits bei der Begehung im Jahr 2016 war dieser Verlauf nicht zu übersehen, der sich in den Folgejahren weiter fortgesetzt hat. Inzwischen - einige Jahre später - zeichnet sich jedoch eine Wende ab.
Im Jahr 1865 wählten Ernest und Alfred Solvay zusammen mit anderen Unternehmern den Standort Couillet zur Gründung einer Chemie-Fabrik und legten damit den Grundstock zu ihrem späteren Firmen-Imperium. Arbeiter und Angestellte organisierten sich in den "Amicales", die unter anderem der Betreuung von Freizeitaktivitäten dienten. Zu diesem Zweck wurde zwischen 1937 und Ende 1938 das "L'Amicale Solvay" als eines von zwei Freizeitzentren erbaut. Konzipiert wurde es im modernistischen Stil vom firmeneigenen Architekten Eléazar Cozac. Der kubische Baukörper mit vorgesetzter Glasrotunde beherbergte im Erdgeschoss ein 25m langes Schwimmbecken und darüber einen Theater- und Veranstaltungssaal für 700 Sitzplätze. Desweiteren gab es ein Casino, ein Restaurant, ein Geschäft und Räume für diverse soziale Aktivitäten.
Anfänglich war die Nutzung des Schwimmbades nur den Familien der Solvay-Mitarbeiter vorbehalten, aber schon bald öffnete es sich auch für Schulen und Sportvereine der Region. Bis 1994 verblieb das "Amicale" im Besitz des Solvay-Konzerns, der es dann an die Université Libre de Bruxelles (ULB) verkaufte. Das Gebäude war bereits in einem sanierungsbedürftigen Zustand und bald wurde deutlich, dass der Betrieb nur durch umfangreiche Arbeiten erhalten werden konnte. Die ULB trat daher 1996 an die umliegenden Gemeinden heran, um eine gemeinsame Finanzierung zu regeln. Die Verhandlungen scheiterten und 1998 wurde das Schwimmbad geschlossen. Die übrigen Räumlichkeiten wurden noch bis 2004 verwendet, dann endete die jahrzehntelange Nutzung mit der finalen Schließung des Freizeitzentrums.
Im Folgejahr wurde die "Amicale" an den Moscheeverein ASBL CIECD (Centre islamique européen pour la culture et le dialogue) veräußert, der dort eine Moschee und Islamschule installieren wollte. Der Verein hatte auch mit Arbeiten am Inneren begonnen, die bunten Kacheln im Eingangsbereich und den Treppenhäusern geben Zeugnis davon. Die Arbeiten wurden aber irgendwann eingestellt. Es folgten Phasen der Sicherung und der Besetzung durch Wohnungslose, die aber weitere Besucher fern hielten. In punkto Bausubstanz wurde das Gebäude sich selbst überlassen, unbeheizt, minimal gewartet und letztlich auch ohne Bewachung.
Dann kam es, wie es kommen musste. Vandalen verschafften sich Zugang und beschleunigten den Verfall. Die Stadt wandte sich immer wieder an den Verein bezüglich Sicherungs- und Erhaltungsmaßnahmen - stieß aber auf keine Resonanz. Nach über 10 Jahren wurde dann wegen fortschreitender Vermüllung eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit attestiert und damit die rechtliche Grundlage für zwangsweise Maßnahmen geschaffen. Die Stadt führte Aufräumarbeiten durch und stellte dem Besitzer eine Rechnung von 46.206 Euro zu. Bei Nicht-Begleichnung drohte die Beschlagnahme, der Moscheeverein zog es vor zu bezahlen.
Was zwischen 2017 und 2019 geschah, bleibt für mich etwas im Dunklen. Ende Dezember 2019 gab es eine Versteigerung, bei der das Mindestgebot in Höhe der Summe der vorangegangenen Sicherungsmaßnahmen lag. Den Zuschlag bekam für 325.000 EUR die CACC sprl, deren Besitzer Raphaël Pollet die ursprüngliche Funktion wieder herstellen möchte. Nach initialen Sicherungsmaßnahmen soll zuerst die Fassade des seit dem Jahr 2000 denkmalgeschützten Bauwerks instand gesetzt werden. Für die weiteren Arbeiten im Inneren ist die Finanzierung noch nicht gesichert und soll von der Beteiligung öffentlicher Institutionen abhängen. Dies wird bedingen, ob der Pool nur renoviert wird oder ob er tatsächlich wieder als Schwimmbad genutzt werden kann. Die CACC sucht jedenfalls weiter nach Kooperationspartnern. Die Frage ist nun: kann eine 1-Personen-GmbH solch ein Projekt stemmen? Die wenig profesionelle CACC-Website (Stand Mai 2020) läßt Zweifel in mir wachsen. Ich denke, die "Amicale" wird irgendwann wieder in den Nachrichtensendungen auftauchen ...
Historische Fotos bei Back in Time
Fotos ohne Vandalismus-Schäden bei Postindustriel.be
Docomomo Belgien
Piscine Solvay de Charleroi (Eigentümer CACC)
CACC bei Facebook
Bericht mit Videoreportage (L'Avenir, Dezember 2018)
Video, u.a. mit Aufnahmen aus dem Zwillingsgebäude (Telesambre, Januar 2019(?))
englischer Text