Heimat - für die meisten von uns ein nicht alltäglicher Begriff, ein Wort ohne besondere Bedeutung. Etwas, dass man nur dann erfühlt, wenn man es vermisst. Keine so ungewöhnliche Situation mehr in einem Land, das nach neuesten Prognosen in zunehmendem Maß mit dem Phänomen der Landflucht zu kämpfen haben wird. Viele in den neuen Bundesländern haben ihre Heimat verlassen müssen, um woanders Arbeit zu finden. Die Menschen der Braunkohlenreviere in Ost und West verlieren sie, weil Erde zu Feuer gemacht wird. Heimatverlust ist damit schon jetzt doch gar nicht so weit entfernt von unserem Alltagsleben.
Deutsch-Ossig ist ein Beispiel für einen vollständigen Verlust. Über 600 Jahre wurde der Flecken besiedelt, wurde hier gelebt und gearbeitet, geboren und gestorben. Und dann geriet der Ort zwischen die Mühlen eines geteilten Europas und in die Begehrlichkeiten um seinen Boden.
600 Jahre Siedlungsgeschichte lassen sich nicht auf wenige kleine Absätze reduzieren, aber ohne Kürzung geht es hier nicht.
1335 erstmals urkundlich erwähnt als Ossegk, wurde die Ortschaft 1535 in vier Güter aufgeteilt: Niederhof, Mittelhof I + II sowie Oberhof. 50 Jahre später fordert die Pest Tausende von Opfern. Dreißigjähriger Krieg und Befreiungskriege führen zu Plünderungen und Zerstörung, Mittelgut und Oberhof werden später wieder aufgebaut. 1919 klopft der Braunkohlentagebau an die Tore des Ortes. 1945 Teilung in die Gemeinden Deutsch-Ossig und Wendisch-Ossig auf der anderen Seite der Neißegrenze, eine Bodenreform teilt die Güter neu auf.
1986 dann der Räumungsbeschluß - dem Boden droht die Rutschung in den nahenden Tagebau. 1988 Entwidmung der Kirche, bis 1991 Räumung des Ortes, 1993 Abriß der Kirchenruine und Enstehung des Tagebaus an Stelle des Dorfes.
Heute stehen an einem Aussichtspunkt über den inzwischen gefluteten Tagebau nur noch der Mittelhof und nebenan das Pfarrhaus, sowie etwas entfernt der Oberhof von 1860 am sogenannten "Dreieck", in dessen Hauptgebäude eine frühere LPG ihren Sitz hatte. Eine Initiative kümmert sich um den Erhalt und die Wiederbelebung dieser wenigen Heimatreste. Da ist es wieder, dieses Wort ...
Nachtrag 2017:
Da mir von einem Eigentümer-Vertreter des Oberhofs die Präsentation meiner Fotos bei einer Strafandrohung von 1000 EUR pro Bild untersagt wurde, finden sich hier schon seit langem keine solchen Aufnahmen des Oberhofes mehr. Wer nun wissen möchte, um welches Gebäude es sich dabei handelt, mag mal einen Blick zu Wikipedia oder Ostkohle riskieren.
Die von Uwe Becker betreute Website mit historischen Bildern aus Deutsch Ossig ist leider vom Netz gegangen. Über Facebook läßt sich evtl. mehr über den Fortgang erfahren.
Der Spiegel: Hundert Meter vor der Kante
Deichspiegel: Deutsch Ossig wird nicht vergessen
Reporterreisen: Deutsch-Ossig - Bald wieder Kohle?
englischer Text