Das älteste Denkmal von Düsseldorf und NRW liegt völlig unscheinbar an einer Straßenkreuzung in Düsseldorf-Kaiserswerth. Unzählige Male kann man dort vorbei fahren ohne dieses inzwischen etwas zugewachsene Monument zu beachten. Eigentlich gebührt ihm ein würdigerer Platz als ein Ort, wo er jederzeit einem Verkehrsunfall zum Opfer fallen könnte. Andererseits schützt ihn sicher die versteckte Lage auch vor dem heutzutage grassierenden Vandalismus.
Wie lange er dort schon steht, läßt sich ebenso präzise wie ungenau beantworten. Im Laufe der 1950er Jahre wurden die angrenzenden Straßen ausgebaut und der dabei im Weg stehende Menhir versetzt. Der älteste Beleg für die Umsetzung datiert aus dem Jahr 1959 - aber dieser erfolgte nicht zeitnah zu den Arbeiten. Immerhin ist die Eingrenzung auf ein Jahrzehnt schon relativ genau im Vergleich zur Zeitspanne, in der der Menhir aufgerichtet wurde: das geschah zur frühen Bronzezeit zwischen 2000 und 1500 v.Chr.. Zum Vergleich: es war die Zeit der Imperien und Hochkulturen in Ägypten, Mesopotamien, Indus und der Caral-Kultur im heutigen Peru. Während man dort u.a. mit dem Bau von Pyramiden beschäftigt war, richtete man derweil im Rheinland immerhin schon große Steine auf.
Zurück zum Menhir von Kaiserswerth: man kennt also weder den exakten Ort seiner Aufstellung, noch den genauen Zeitpunkt seiner Errichtung und auch nicht seine frühere Funktion. So kann eine kultische Funktion ebenso in Betracht gezogen werden wie eine territoriale Markierung. Seine heute sichtbare Größe von knapp 2m entspricht auch nicht der tatsächlichen: bei der Umsetzung wurde er deutlich tiefer in das Erdreich gesetzt. Bereits 1921 wurde er zum Schutz gegen ein Umkippen mit einem Kranz weiterer Basaltsteine aus der Ruine der nahen Kaiserpfalz umgeben. Frühe Fotos laßen die Vermutung zu, dass er damals um mehr als einen halben Meter höher aus dem Boden ragte als heute. Der Stein hat am Boden eine Seitenlänge von ca. 50cm und verjüngt sich nach oben, Kanten und Spitze sind abgerundet. Originale Bearbeitungsspuren sind nicht erkennbar, jedoch zieren den Stein auf seiner rechten Seite einige vertikale und horizontale Kratzlinien. Seitlich befinden sich Aushöhlungen, in etwa gleicher Höhe ist an seiner Frontseite eine gefüllte Höhlung samt Eisennagel erkennbar.
Höckmann[1] geht davon aus, dass es sich bei dieser Steinsäule um einen echten Menhir im Sinne eines den Ahnen geweihten Steinmals handelt. Der Standort in der Nähe eines Altrheinarms und seine Oberflächenbeschaffenheit geben dazu erst einmal keine Hinweise. Die unmittelbare Nähe eines seit Römerzeiten genutzten Handelsweges könnte die Vermutung zulassen, dass der Stein erst später als Wegmarkierung errichtet wurde - jedoch war es zumeist umgekehrt: die Wege orientierten sich an bereits vorhandenen Landmarken. Damit bleibt als wichtiges Indiz für eine Kultstätte seine Verankerung in der Sagenwelt der Bevölkerung. Die typischen Menhire werden von der Wissenschaft als eine Art "Ersatzleib" für Ahnen interpretiert. Aus heidnischer Zeit existieren hier zwei Ortssagen um den Menhir, die sich beide um das Motiv des "lebenden Steins" drehen. So soll er sich aus eigener Kraft mehrfach um die eigene Achse drehen, wenn in Kaiserswerth eine Turmuhr läutet. Wobei sich mir nicht erschließt, wie eine heidnische Zeit und eine Turmuhr zusammen passen sollen. Eine andere Sage berichtet davon, dass der Stein bluten würde, wenn man ihn mit einer Nadel ritzen würde. Solcherlei Sagen entstehen nicht an profanen Grenzsteinen und geben damit einen Hinweis auf einen weitaus älteren Bedeutungshorizont.
Mit dem Aufkommen des Christentums erschienen Menhire oftmals als Sitz heidnischer Mächte, die es im Zaum zu halten galt. Dazu wurden dann schon mal christliche Symbole - allen voran das Kreuz - an und auf Menhiren angebracht. Am Menhir von Kaiserswerth kann man mit etwas gutem Willen in den Kratzspuren eine vage Kreuzform erkennen. Zudem wurde 1078 gegenüber dem Stein die 1689 zerstörte St.Georgs-Kapelle erbaut. Beides könnte man als Abwehrmaßnahme gegen heidnische Kräfte deuten, die von diesem Menhir ausgingen.
Nach Fischer [2] ging das mittelalterliche Grafengericht in Kreuzberg (=altes Kirchspiel bei Kaiserswerth) aus einer keltischen Opfer- und Gerichtsstätte hervor, die in der Nähe des alten "Rather Leichenweges" und am Ort des Kaiserswerther Menhirs lag. Getagt wurde dreimal pro Jahr am "Blutgerichtsstein", um dort über Kapitalverbrechen zu urteilen. Im Gegensatz zur niederen Gerichtsbarkeit gehörte das Blutgericht zur Hochgerichtsbarkeit und verhängte üblicherweise Körperstrafen bis hin zu Todesurteilen. Der gruselige Straßenname kam im übrigen dadurch zustande, dass die Bevölkerung des benachbarten Rath erst ab 1489 ein eigenes Beerdigungsrecht bekam und bis dahin über den erwähnten Weg zur Bestattung nach Kaiserswerth zu laufen hatte.
Den Ablauf eines Blutgerichtsverfahrens kennt man aus den Überlieferungen von "Weistümern". Demnach hat man nach einer Auseinandersetzung mit Todesfolge den Leichnam nach Kreuzberg getragen, wo der Leichnam vor dem Gericht klagen konnte. Im Glauben an die Unsterblichkeit seiner Seele geschah dies durch den Mund seiner nächsten männlichen Verwandten. Ein Tatverdächtiger konnte versuchen sich durch einen Eid rein zu waschen. Widersprachen ihm Leumundszeugen kam es letztlich zu einem Gottesurteil, bei dem Täter und ein Anverwandter im Zweikampf gegeneinander antraten. Entzog sich der Täter diesem Verfahren, so traf ihn ein Bannstrahl des Gerichtes und er galt fortan als vogelfrei.
In einigen Gebieten Deutschlands gab es den altfränkischen Brauch, einen zum Tode verurteilten am Hinrichtungsplatz dreimal vor einen sogenannten "blauen Stein" zu stoßen ("blau" im Sinne von "bläuen" / schlagen). Damit sollte die Preisgabe weiterer Taten oder Mittäter erreicht werden. Ob der Ort des Kaiserswerther Menhirs auch ein Hinrichtungsplatz war? Solche Orte lagen zumeist abseits der Wohnlagen, Exekutierte wurden aber oft an markanten Orten öffentlich zur Schau gestellt. Die Vermutung, dass die Bearbeitungen im Stein mit diesen Hinrichtungen in Zusammenhang stehen, kann ich irgendwie nicht nachvollziehen. Vielleicht weiß ja jemand mehr über diesen Zusammenhang?
Literatur-Quellen:
1. O.Höckmann: Der Menhir von Kaiserswerth, in: Römisch Germanisches Zentralmuseum Mainz (Hrsg.): Führer zu vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern Bd.15 Essen-Düsseldorf-Duisburg. Verlag Philipp von Zabern, Mainz: 1-191 (1975)
2. Fischer, G.: Rath und Unterrath - Ein Beitrag zur Heimatkunde. Bürgerverein Unterrath 1909 e.V.: 1-160, 2.Aufl. (1966/67), S.34-35
Weiterführende Links:
Mein Kaiserswerth - Neue Nachrichten vom alten Menhir (PDF) - ein Bericht mit historischen Bildern
The Megalithic Portal
Wikipedia