Vor dem erfolgtem Abriss zwischen Dezember 2018 und Frühjahr 2019 war die "Schule für Physiotherapie" eine der beliebtesten Spielplätze für Urbexer. Gemessen an dem, was in anderen Objekten an Vandalismus zu beobachten war und ist, blieb die alte Loges-Schule davon relativ befreit. Ja, es wurde zerstört und umdekoriert, aber immerhin unterblieben großflächige Schmierereien auf jedem freien Quadratmeter. Der Zerfall geschah am Ende jedoch trotzdem sehr schnell, Feuchtigkeit drang ein, Schimmelpilze fühlten sich wohl und so vermoderte die Konstruktion von innen heraus.
Daher verlief mein Besuch auch deutlich reduzierter als eigentlich gedacht. Schon nach wenigen Stufen ging das Haupttreppenhaus in eine deutliche Schräglage über, die durch einen Teileinsturz an seiner Seite hervorgerufen wurde. Vom Innenhof war die Bescherung gut zu erkennen, die Fassade wölbte sich bereits zum Hof und schien nur darauf zu warten die stützenden Fensterrahmen zu zerbrechen. Und auch hinter dem bekannten mit Stuckarbeiten und Fresken geschmückten Saal mit den Therapieliegen verbarg sich nur noch Einsturzchaos. Ständig hatte ich das Gefühl, dass gleich etwas neben mir zusammen krachen könnte - nichts davon geschah, aber dieses unterschwellige Gefühl ließ mich dann doch nicht mehr in die oberen Etagen steigen. Dass dies dennoch möglich gewesen wäre, zeigen Bilderstrecken in dem auch weiter unten verlinkten Forum.
Erste Erwähnung findet das Haus als "Hotel Ludwigslust" mit Gründungsdatum 1864. Als solches wurde es jahrzehntelang betrieben und sah in der Folge einige Umbau- und Anbaumaßnahmen des ursprünglich L-förmigen Gebäudes. 1911 wurde im Empfangsbereich ein Brunnen mit Skulpturen des deutsch-national gesinnten Bildhauers Friedrich Bagdons eingebaut. Sein Stil änderte sich über die Jahre von Historismus und Jugendstil hin zu nationalsozialistischer "Staatskunst". In den 1920er-Jahren firmierte das Hotel unter dem Namen "Palast Hotel Kaiserhof". Bad Harzburg pflegte bis zu dieser Zeit noch ein weltoffenes Image - was sich aber während der 1920er Jahre durch eine Zunahme des Massentourismus änderte. Mit Beginn der 1930er Jahre verbanden sich in Bad Harzburg verschiedene rechtsextreme Parteien zur "Harzburger Front". Im Dokumentarfilm über das Hotel von E.Seifrid wird auf Fliesen eines Sanitärraums hingewiesen, die ein eingearbeitetes Hakenkreuzmuster zeigen. Irgendwie erscheint es daher schon fast passend, dass sich hier eine Loges-Schule etablierte.
Carl Loges war ein anfangs autodidaktisch geschulter Turnlehrer, dessen Karriere im Bereich des Sports bis zu einer olympischen Goldmedaille der deutschen Frauen-Turn-Mannschaft im Jahr 1936 reichte, deren Trainerschaft er inne hatte. Das rhythmische Turnen, durchaus auch mit tausenden von Teilnehmern, gehörte zu seiner Spezialität. Bereits 1925 hatte er in Hannover seine erste Loges-Schule für Bewegungskunst gegründet, die aber 1943 bei einem Luftangriff zerstört wurde. Loges überlebte den Krieg, hatte aber wegen seiner Nähe zu den Sportidealen des NS-Regimes Probleme wieder an seinen vorherigen Tätigkeiten anzuknüpfen. Trotzdem gelang ihm die Gründung von bundesweit vier Loges-Schulen - eine davon in dem ehemaligen Hotel in Bad Harzburg.
Die Bausubstanz entsprach zum Ende der Betriebszeit längst nicht mehr etablierten Standards, fehlende Fluchttreppen im Brandfall wären nur einer dieser Faktoren gewesen. Anfang 2006 stellte die Berufsfachschule der "Ilse Loges-Speidel-GmbH" ihren Betrieb ein, es begann die Phase des Leerstands des denkmalgeschützten Hauses. Eigentümer war die Tilch-Gruppe, ein Unternehmen, dass sich auf Pflege- und Betreuungsdienstleistungen spezialisiert hat. Dieses Unternehmen stellte schließlich einen Antrag auf Abbruch des inzwischen baufälligen Gebäudes, der im Oktober 2018 genehmigt wurde.
Loges Schule Bad Harzburg - Video von E.Seifried
Abriss der Loges-Schule geht weiter (GZ live, Februar 2019)
Umfassende Fotosammlungen im Forum "Geheime Welten"
englischer Text