Mein Blick richtet sich auf den langen Korridor. Seitlich drängt sich in leuchtendem Rot einer der überaus zahlreichen Kästen für den Feuerwehrschlauch in mein Blickfeld. Vor mir auf dem Boden liegt ein dunkles Etwas. Ich schaue näher hin. Es ist ein Kinderschuh. Und es ist nicht der einzige, der in diesem Gebäude herumliegt. Es sieht manchmal aus, als wenn sie auf einer Flucht verloren gingen. Aber das ist natürlich nur reine Phantasie. Oder etwa doch nicht?
Ein Raum öffnet sich vor mir, kreisrund und mit Türen in allen Richtungen. Insgeheim nenne ich ihn den "Kreis-Saal". Geräusche drängen von irgendwoher durch das Gebäude an mein Ohr. Erst sehr viel später wird klar, wer die Verursacher dafür sind. Es sind jedenfalls nicht meine beiden Begleiter, die ebenfalls irgendwo durch das Haus streifen. Ich komme mir vor wie am Eingang zu einem Labyrinth. Welche Türe soll ich zuerst nehmen? Was ist dahinter? Da hilft nur eines: probieren und mit der nächsten beginnen.
Es geht von einem Korridor zum nächsten, die Stockwerke herauf und herunter, Raum für Raum wird erkundet. Weiter oben im Hauptgebäude liegt ein beißender Farbgeruch in der Luft. Frische Farbe ist nicht zu sehen, nur der Geruch reizt die Schleimhäute von Nase und Augen. Wir sind nicht die einzigen in diesem Haus, so viel ist klar. Wieder Geräusche, diesmal von unten. Niemand zu sehen.
Ein Versteckspiel scheint dies zu sein, so ähnlich wie früher, als sich die Kinder dabei amüsiert haben. Damals mochte ihr Lachen durch die Räume und Gänge geklungen haben, heute ist dies anders. Ich rufe in's Treppenhaus, doch eine Antwort bleibt aus. Der Wachdienst ist es mit Sicherheit nicht, der die Geräusche verursacht.
Und so betrachte ich weiter die Schultafeln in den Klassen, die bunten Kinderbilder an den Wänden, die Toiletten im Zwergenformat, die Schlafräume für Kinder und Personal. Was für ein Gewusel und Gewirbel hier einmal geherrscht haben mag? Umso beklemmender die Stille, die nun hier herrscht - und hin und wieder durch Poltern und Schleifgeräusche durchbrochen wird.
Über Funk verabreden wir uns schließlich unten in der Aula. Und endlich sehen wir auch die Verursacher von Farbgeruch und Lärm. Eine Jugendgang - sie hat uns ebenfalls bemerkt und rennt wie vom Leibhaftigen verfolgt davon. Ein schlechtes Gewissen scheint ziemlich geschwindigkeitssteigernd zu sein, schießt es mir durch den Kopf. Die vergessenen Kinder von Jaspar - manchmal kommen sie wohl wieder ...
Das Institute Jaspar wurde 1921 gegründet, um den Waisen und ärmsten Kindern der Stadt eine Erziehung und Unterbringung zu bieten. Die Jugendfürsorge beendete 1986 die Unterbringung in diesem Heim und steht auch heute noch privaten Trägerschaften skeptisch gegenüber.
Nachtrag 2017:
Die zwischen Modernismus und Landhausstil schwankenden Gebäudeteile wurden laut einer anderen Quelle etappenweise zwischen 1929 und 1947 errichtet. Das Stilllegungsdatum ist demnach auch ein anderes - nämlich 1991. Das Waisenhaus gehörte der "Koninklijke Schenking" - einer öffentlichen Einrichtung, die diverse Gebäude verwaltet. Bis zum 1.April 2005 wurde das flämische Kinderbüro "Kind en Gezin" im ehemaligen Waisenhaus untergebracht. Ein Gerücht, wonach das Gebäude zu einer Residenz für Prinzessin Astrid umgebaut werden sollte, wurde umgehend vom Königspalast dementiert. Inzwischen gehört das Haus der Immobilienentwicklungsgesellschaft Vulpia, die dort Wohnungen im Luxus-Segment anbieten wollte. Der Projektstart sollte im Frühjahr 2015 sein.
Entgegen dieser teilweise widersprüchlichen Eckdaten steht aber eines fest: ein Großbrand hat im August 2014 beträchtlichen Schaden angerichtet.
Krakers zetten leeg pand in brand
Vulpia: Institut Henri Jaspar – Kraainem
Broschüre des Bauvorhabens (issuu)
Photographic Exploration (Fotos vom vandalisiertem Stadium)
My view is concentrated to the long corridor. One of the extremely numerous bright red boxes for the firedepartment-hoses towers from the side in my view. In front of me on the ground is a little dark something. I look closer. It's a children's shoe. And it is not the only one lying around in this building. Sometimes it seems like if they are lost just on the run. But of course this is pure fantasy. Or even not?
A room opens before me, circular and with doors in all directions. In secret I call it the "circle room" (= "Kreissaal" in german, which is the name for the room of births). Noises come to my ears from somewhere in the building. Much later it will be clear who the causer of this are. It is certainly not one of my two companions, who also roam somewhere through the house. I feel like at the entrance to a labyrinth. Which door should I choose first? What is behind it? The only solution: to try and start with the next one.
One corridor follows after another, I go the floors up and down, room after room is explored. Higher up in the main building a biting color smell is in the air. Fresh paint is not visible, but the smell irritates the mucous membranes of the nose and eyes. We are not the only ones in this house, that is obviously. Again noises, this time from below. No one is to see.
This appears to be a peekaboo - similar to former times, when the children enjoyed it to play. At that time their laughing may have tingled through the rooms and corridors, today it is different. I call into the staircase, but the answer is missing. The guard caused certainly not the noise.br>And so I continue to look to the blackboards in the classes, the colorful children's pictures on the walls, the dwarf sized toilets, the bedrooms for children and staff. What kind of swarming and twirling might have been here once? But more oppressive is the silence that now prevails here - and occasionally is interrupted by noises of rumble and grind.
Via radio we arrange to meet down in the auditorium at last. And finally we see the causers of color smell and noises. A Youth Gang - they have also noticed us and run away like the devil would follow them. A conscience of being guilty seems to increase speed. The lost children of Jaspar - sometimes they return ...
The Institute Jaspar was founded in 1921 to offer education and housing for the poorest children of the city. In 1986 the youth welfare stopped accommodation in this home and is still sceptical about other private sponsorship today.