Widerstrebend öffnet sich das alte Tor gerade so weit, dass dem geneigten Besucher Einlaß gewährt wird. Ringsherum spielt sich das Leben eines Bade- und Kurortes ab. Menschen kommen vom oder gehen zum Strand, gegenüber dringt Lärm aus einem neuen Kinderferienheim. Doch hier, nach wenigen Schritten durch das grüne Dickicht, ist man in einer anderen Welt. Wobei ich nicht sagen kann, dass mir diese Seite gefällt - Vandalismusspuren allerorten, schon draussen ist zu sehen, was den Gebäuden auch drinnen bereits widerfahren ist. Ernüchterung macht sich breit, offenbar bleibt kein Ort verschont, in dessen Nähe Menschlein gelernt haben eine Spraydose zu bedienen oder den unterschiedlichen Härtegrad von Stein und Glas ein ums andere Mal zu verifizieren.
Nach anfänglichem Frust versuche ich dann aber doch den noch sehenswerten Winkeln des Sanatoriums mit offenen Augen entgegen zu gehen. Insbesondere der Wandelgang zwischen den Häusern hat es mir angetan, der im Licht der untergehenden Sonne seine ganze Schönheit entfaltet. Die Idylle, die ihn umgibt, erzeugt im Kopfkino Bilder von äteren Herrschaften, die in geistreiche Gespräche oder die Lektüre von Büchern versunken sind. Aber wie wenig dies mit der früheren Realität zu tun hatte, macht sehr schnell der Blick auf die Geschichte klar.
Angefangen hat alles mit dem Pensionat und Hotel "Belvedere", das 1875 eröffnet wurde. Nach 32 Jahren wurde es an die Arbeiter-Pensionkasse verkauft, weitere 20 Jahre später wechselte die Besitzerschaft erneut und es ging als Erholungsheim "Maria-Heim" an den Reichsbahn-Waisenhort. Unmittelbar nach Kriegsende wurde das Heim requiriet und zur Unterbringung und Quarantäne von Flüchtlingen aus der Tschechoslowakei und Polen genutzt.
1949 erhielt es seinen bis dato letzten Namen: "Erich-Steinfurth-Heim". Anfänglich wurden auf dem weitläufigen Gelände Pionierlager veranstaltet, dann erfolgte ab 1964 der Umbau zu einem Kindersanatorium, das 1967 seinen Betrieb aufnahm. Kinder mit Asthma oder Neurodermitis bekamen hier einen mehrwöchigen Kuraufenthalt, gleichzeitig wurden sie in den oberen Stockwerken weiter schulisch unterrichtet. In Internetforen schildern sie noch heute ihren Aufenthalt, viele von ihnen klagen noch immer über drakonische Erziehungsmethoden.
1989 - mit der Wende - kam dann der nächste Einschnitt: das Sanatorium wurde geschlossen und von der Deutschen Eisenbahngwerkschaft verkauft. Es gab in der Folgezeit Pläne zur Wandlung zu einer Seniorenresidenz oder einem Hotel - aus denen aber nichts wurde.
Das Gebäude steht zwar unter Denkmalschutz - aber einen entsprechenden Verfall vorausgesetzt, darf auch so ein Gebäude abgerissen werden. Die zentrale Lage auf einer Anhöhe, der umgebende Park, die Nähe des Meeres - nur wenige Standorte dürften diese Voraussetzungen für einen Neubau bieten. Man darf spekulieren, welches Interesse am fortschreitenden Verfall herrscht ...
Nachtrag 2017:
Das Gelände gehört einer Entwicklungsgesellschaft aus Dortmund, die dort ein Luxus-Apartment-Hotel errichten will. Baustart sollte im Herbst 2017 sein, jedoch scheint noch keine Baugenehmigung vorzuliegen.
Blog früherer Kurkinder
OZ: Neues Leben in alter Hülle
GPQ Entwicklungsgesellschaft: Das Belvedere Zinnowitz
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