Die Heimat des Wahnsinns ist schön gelegen. Hügel, Wald und Meer bestimmen den Ausblick. Aber welche Sehnsüchte erzeugt solch ein Ausblick, wenn dazwischen Wärter, massive Gitterstäbe und eine hohe Mauer stehen?
Schon an der Eingangspforte sind Patienten der Psychiatrie zu sehen - die harmloseren Fälle, wie vermutet werden darf. Denn noch immer ist die Klinik in Betrieb, auf dem weitläufigen Gelände stehen verlassene Gebäude neben solchen, die noch genutzt werden. Gelegentlich streift ein Patient im Bademantel vorbei, Autos huschen die Klinikstrassen entlang, der Müllwagen durchschneidet geräuschvoll die Kulisse der Stille.
Nur zwei der alten Pavillons werden heute von Daniel und mir besucht. Der Unrat der bröckelnden Bausubstanz ist mit Sicherheit nichts gegen das, was hier früher anzutreffen war. Der Gestank der viel zu wenigen Toiletten, die nächtliche Geräuschkulisse in den großen Schlafsälen. Ich frage mich, ob die ebenfalls in den Pavillons untergebrachten Pflegekräfte damals ruhig haben schlafen können ...
Zwischen den Jahren 1908 und 1933 entstanden hier 40 größere und kleinere Gebäude, darunter Verwaltungsbauten, zwei Küchen, Anatomie, Apotheke und auch eine Kirche. Das parkähnliche Gelände wird von breiten Straßen durchzogen und vermittelt den Eindruck einer kleinen Stadt.
Die Isolation und Abgeschiedenheit ermöglichte trotz der musterhaften Anlage eine fast unmenschliche Unterbringung und Behandlung: die jährliche Sterberate lag bei 10%, das Durchschnittsalter der Patienten bei nur 47 Jahren. Bei mehr als 2000 Patienten müssen ca. 60 von ihnen pro Pavillon untergebracht worden sein.
Die Gesetze von Basaglia reformierten 1978 die italienischen Psychiatrien. Cogoleto leerte sich daraufhin, die offizielle Schließung war am 18. Juli 1998. Aber auch 10 Jahre später sind dort noch immer Patienten.
2011 sollten hier in einem olympischen Dorf die Sportler der Jugendolympiade in Genua untergebracht werden - die Spiele finden aber nun in Tschechien statt.
Nachtrag 2017:
Im ausgehenden 19.Jahrhundert gab es in Genua über 800 Kranke, die auf mehrere Hospitäler verteilt waren. Dort herrschende mangelhafte hygienische Bedingungen erforderten dringend eine Änderung der Zustände - und so wurde von ärztlicher Seite 1878 der Neubau einer modernen Anlage beschlossen. Als Ort wurde Pratozanino ausgewählt - was aber den Genueser Bürgervertretern als zu weit weg erschien. Die Folge war eine Blockade des Neubaus.
1904 erreichte die Patientenanzahl die Grenze von 2000, die Stadt Genua breitete sich weiter aus und ein Neubau wurde unausweichlich. 1908 begann schließlich der Bau, 1911 zogen die ersten Patienten ein. Die Patientenzahl stieg stetig an, ebenso die Zahl der Gebäude. Eine Kirche kam hinzu, die Residenz des Direktors, ein gesicherter Bereich für Kriminelle und etwas außerhalb ein landwirtschaftlicher Bereich, der auch zur Selbstversorgung diente. 1916 und 1917 kamen zwei militärisch genutzte Pavillons hinzu, in denen Frontsoldaten behandelt wurden.
1922 wurde ein Buspendeldienst vom Bahnhof in Cogoleto eingerichtet, da der größte Teil des Pflegepersonals auswärts wohnte und nun leichter zum Arbeitsplatz gelangen konnte. Lediglich der Direktor, sein Stellvertreter, der Apotheker und der leitende Kaufmann hatten einen Anspruch auf Unterkunft in dem Klinikareal. Das übrige Personal konnte zwischen der Klinik in Cogoleto und den Kliniken in Genua hin und her versetzt werden - wie es der Bedarf erforderte. Nach 1933 entstanden eine Bäckerei, Druckerei, Tischlerei und Schmiede.
1955 wurde mit 3304 Insassen ein Höchststand erreicht. Darunter waren nicht ausschließlich Personen mit psychischen Erkrankungen, sondern auch arme, ältere Menschen ohne Familie oder behinderte Kinder.
In den 60er Jahren kam man von der Elektroschock-Therapie mehr und mehr ab, Verfahren der Gruppenpsychotherapie und Sozialarbeit kamen zum Einsatz.
Nach 1974 wurde eine Reorganisation vorgenommen: waren die Patienten bisher in den großen Sälen nach Krankheiten sortiert untergebracht worden, so wurden sie nun nach ihren Herkunftsorten sortiert. 1975 wurde zivile Kleidung erlaubt, weitere Maßnahmen folgten um die traditionelle Krankenhausstruktur aufzuheben. 1980 begann eine dezentralisierte Behandlung, die auch Hausbesuche durch Pflegekräfte einschloß.
Die Pavillons wurden nach und nach aufgegeben und das gesamte Gebiet schließlich 2009 verkauft.
Ospedale psichiatrico provinciale di Genova a Cogoleto
archivierter Artikel bei La Republica
Drohnenvideo nach 2'30 Minuten
The home of madness is situated beautifully. Hills, forest and sea characterize the view. But what kind of desires creates such an outlook, if warders, massive bars and high walls lie inbetween?
At the entrance gate of the psychiatric hospital patients already are to be seen - the harmless cases as I do suspect. Because the clinic is still in operation on this straggly area, the abandoned buildings are next to those that are still in use. A patient in a bathrobe walks around occasionally, cars scurry along the internal streets, the garbage truck noisily intersects the silence.
Today Daniel and I investigate only two of the old pavilions. The debris of the crumbling buildings is certainly nothing against what could be encountered here previously. The stench of far too few toilets, the nocturnal sounds in large dormitories. I wonder whether the nurses, which also were placed in rooms of those pavilions, could have enjoyed a deep sleep ...
Between 1908 and 1933 40 bigger and smaller buildings were build here, including administrative buildings, two kitchens, anatomy, pharmacy and even a church. The park-like area is crossed by wide streets and gives the impression of a small town.
The isolation and seclusion made an almost inhuman accommodation and treatment possible - despite the exemplary designed facility: the annual death rate was 10%, the average age of patients was only 47 years. With more than 2000 patients in total, about 60 of them have housed in each single pavilion.
The laws of Basaglia reformed the Italian psychiatric in 1978. Cogoleto got empty then, the official closure was on 18th July 1998. But 10 years later there are still patients. In 2011 athletes of the Youth Olympics will stay in the pavillons, which will be converted into an Olympic village.