Räume über Räume - nicht hundertfach, sondern schon fast tausendfach scheinen sie zu zählen. Das alte Fort in Lüttich besteht einerseits aus den mächtigen Resten der Kasematten oberhalb des Maas-Ufers, andererseits aus dem Kasernenkomplex. Diese Kaserne wurde 1939 um weitere Mannschaftsunterkünfte ergänzt - und eben jene Bauten zeichnen sich durch immer gleich aussehende Räume aus.
Ein Ort, an dem man Verbrechen verüben kann ohne dabei gestört zu werden - schießt es mir durch den Kopf. Ich will gar nicht recht wissen, wie jeder einzelne Raum aussieht. Und tatsächlich - nach Ende der Exkursion ergibt sich ein Gespräch mit einer Französin, die davon berichtet, dass hier gerade ein Junge ermordet wurde.
In der Nähe des Forts haben sich Obdachlose eingerichtet, ein offenes Feuer verbreitet Wärme und Rauch an diesem bitterkalten Januartag. Jugendliche wenden sich ab, sobald ich mit der Kamera in ihre Nähe komme. Mir scheint, mir soll hier etwas verborgen bleiben ...
Das alte Fort wurde 1817-1823 vom Vereinigten Königreich der Niederlande zum Schutz gegen Frankreich gebaut. Bereits kurz nach Fertigstellung des Forts war dieses aus militärischer Sicht veraltet. Gebaut wurde es, um zusammen mit der auf der gegenüberliegenden Uferseite gelegenen Zitadelle die Stadt zu schützen. Die starke Reichweitenzunahme der Artillerie machte es aber nötig die Verteidigung weiter vor die Stadt zu verlegen. Daher wurde Lüttich mit einem Ring aus 12 weiteren Festungen umgeben.
1830 bemächtigten sich belgische Aufständische und Truppen des Forts und markierten damit einen wichtigen Punkt in der Geschichte der belgischen Unabhängigkeit. Die Anlagen wurden zwar im 19. Jahrhundert weiter befestigt, jedoch nur noch als Kaserne benutzt.
Im August 1914 fiel Lüttich in deutsche Hände und das Fort diente fortan als Gefangenenlager für belgische Soldaten und Zivilisten. 49 Männer und Frauen ließen dort ihr Leben - erschossen während der Jahre 1915 bis 1917 weil sie Truppenbewegungen protokolliert hatten. Diesen 49 sind die Kreuze geweiht, die sich in der Nähe des Erschießungsplatzes befinden. Ein dunkler, tunnelartiger Gang verbindet ihn mit dem Gefängnistrakt.
Es gehörte seitdem zu einer jährlichen Tradition, dass Schulklassen zum Jahrestag des Kriegsendes an den Gräbern vorbei defilierten um den Toten die Ehre zu erweisen. Zwischen 1918 und 1940 wurde die Kaserne weiter ausgebaut und beherbergte zu Zeiten der Mobilmachung mehr als 2.000 Mann. Während des 2. Weltkriegs diente La Chartreuse den Deutschen als Kaserne, die die mehrere Etagen hohen Mannschaftsunterkünfte regelrecht eingruben. Vom September 1944 bis zum Juli 1945 richtete die amerikanische Armee hier ein Lazarett für die Verletzten der Ardennenschlacht ein. Nach dem Krieg wurden die alten Gebäude wieder ausgegraben und die Kaserne vom belgischen Militär genutzt.
Auch heute ist die Anlage noch militärisches Sperrgebiet, selbst wenn sie bereits seit Jahrzehnten nicht mehr entsprechend genutzt wird und zunehmend verfällt. Es gibt Gerüchte, wonach dieser geschichtsträchtige Ort den Bulldozern übergeben werden soll und dort Apartements entstehen sollen. Das Gelände soll bald hermetisch abgeriegelt werden.
September 2005:
Das Areal des Forts ist nun wieder frisch verzäunt, Schilder sind zu sehen, auf denen vor einem freilaufenden Rottweiler gewarnt wird. Diese Hinweise sind kein Bluff und absolut ernst zu nehmen! "Yak" kann sehr schnell rennen und hat auch kein Problem mit Treppen.
Das Gelände gehört nun einem privaten Investor, wobei die Grenzen zu städtischem und militärischem Grund (Ehrenfriedhof) fließend sind. Der Investor plant den Abriss zahlreicher Gebäude (z.B. der Reithalle und Stallungen) und die Errichtung von Luxus-Apartements im alten Teil des Forts. Der gesamte Wohnbereich soll nach außen abgeschottet werden und unzugänglich bleiben.
Mitte Februar hatte ich erfahren, dass zwar der eingangs erwähnte Mord an dem Jungen schon etwas länger zurückliegt, aber 3 Wochen nach meinem Besuch in den Kasematten die Leiche einer Krankenschwester gefunden wurde. Nun - im September - wird mir die Stelle der Tat gezeigt. Es ist ein außerhalb der Kaserne liegender Bunker, der Drogensüchtigen als Treffpunkt dient. Der daneben liegende Bunker der Obdachlosen ist inzwischen durch eine unkontrolliert brennende Zigarette ausgebrannt.
Begehbar bleiben aber die kilometerlangen Tunnel, die sich unter den Wallanlagen herziehen.
Nachtrag 2018:
Über die Jahre hinweg bin ich immer mal wieder an diesen Ort gelangt und konnte so die Veränderungen feststellen. Anfänglich waren es die Abrissarbeiten u.a. der Reithalle, die der Location zusetzten, später waren es dann die Farbschmierereien, die auch vor den alten Wandbildern nicht halt machten. Aber was hilft das Jammern, die Dinge sind leider wie sie sind. Nachdem das Gelände nicht mehr von Peter und seinem "Yak" kontrolliert wurde, war es wohl endgültig um den letzten Rest von Integrität geschehen, dem Vandalismus Tür und Tor geöffnet.
1126 wurde an diesem Ort ein Kloster gegründet, das gegen 1288 festungsartig ausgebaut wurde. Im Laufe der Jahrhunderte ging die Burg durch die Hände verschiedenster Besitzer, Zerstörung und Wiederaufbau wechselten sich ab. 1360 etablierte sich der Name "Chartreuse". Anfang des 19.Jahrhunderts wurden Pläne zur Verteidigung von Lüttich umgesetzt und 1823 in Form des "Fort de La Chartreuse" umgesetzt. Zwischen 1891 und 1914 verlor das Fort seine direkte Verteidigungsfunktion und wurde zu einer Kaserne umgewandelt, wobei es während der Jahre des 1.Weltkriegs den deutschen Besatern als Gefängnis diente. 1938 wurde der Graben verfüllt, der ursprünglich vor dem heutigen Haupteingang den Torbereich schützte - damit konnten nun auch Lastkraftwagen in das Fort hinein fahren. Die Zeit des 2.Weltkriegs sprach ich bereits zuvor an, daher hier nur noch der Hinweis, dass die Anlage bis 1955 als Kaserne diente und zwischen 1981 und 1986 vom Militär verlaßen wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch eine Tankstelle, einen Hubschrauberlandeplatz, ein Fitnessstudio und weitere Gebäude.
1991 wurde die gesamte Anlage einschließlich der Grabmale in das Inventar des unbeweglichen Kulturerbes (IPIC) eingetragen. Das bedeutet eigentlich, dass die Erhaltung und Restaurierung gewährleistet sein soll. 1994 wurde ein Masterplan zur baulichen Erweiterung genehmigt.
1998 wurde in einem der unterirdischen Tunnel die Leiche eines ermordeten 10-jährigen Jungen gefunden. Im gleichen Jahr wurde der bewaldete Teil von der Stadt Lüttich erworben und zu einem Park umgewandelt. 2003 erfolgte der Verkauf des bebauten Geländes an die Immobiliengesellschaft Matexi.
Als das Fort gebaut wurde, stand an seiner Stelle der bäuerlicher Weiler "Péville". Ein Gebäude dieses Weilers ließ man stehen, es diente fortan dem Kommandeur als Wohnhaus - allerdings unter der Maßgabe, dass es im Falle eines Angriffs sofort niedergelegt werden sollte um militärische Aktivitäten nicht zu behindern. Dies ist der "Napoleonhof" oder "Maison Lambinon". 2006 wurde er durch ein Feuer stark beschädigt. Im gleichen Jahr erfolgte der Abriss einiger Nebengebäude (Fahrzeughalle, Reithalle, Küche,...). Nach dem Tod von Peter, der in einem Haus auf dem Gelände lebte, wurde der Ort zu einer illegalen Müllhalde. 2008 wurde die Krankenstation (BM1) illegal abgerissen. Das Jahr 2009 sah die Zerstörung der Verliese und Kerker. 2010 folgten weitere illegale Abrisstätigkeiten durch eine Immobilienfirma, Ziegel und Pflastersteine wurden weiterverkauft, städtische Bäume gefällt und Umweltvergehen begangen. Die von Anwohnern alarmierte Polizei setzte die Baufahrzeuge fest, ein Bagger brannte aus.
2011 wurde eine erste Baugenehmigung für den Immobilieninvestor Matexi erteilt, das Projekt zerschlug sich aber. Im Oktober 2017 wurde ein neues Konzept mit 74 Wohneinheiten vorgestellt (wobei langfristig etwa 300 Häuser geplant sind). Binnen wenigen Tagen hagelte es mehr als 5.000 Beschwerden dagegen und nach 10 Tagen zog Matexi den Vorschlag für das Bauvorhaben zurück - um ihn kurz danach in abgespeckter Version erneut zu präsentieren. Die Gegner der Bauvorhaben befürchten eine schrittweise Verstädterung des Geländes, das den größten innerstädtischen Park darstellt und mit seiner Flora und Fauna eine "grüne Lunge" Lüttichs darstellt..
Abkürzungen:
Ich verwende in den Bildbeschreibungen Abkürzungen, die sich auf entsprechende Kennungen in Plänen beziehen. Folgend eine kurze Erläuterung der Abkürzungen:
BM1: Krankenstation, illegal abgerissen
BM2: Taubenschlag, später Haus der Offiziere
BM3: Pulvermagazin
BM4: Post und Fernmeldewesen
BM5: alter Kerker, seit 1938 nicht mehr genutzt. Illegal abgerissen.
BM6: Sanitäranlagen bis 1960
BM7: Geschützkammern, nach 1891 als Lager genutzt
BM8: Kaserne bis 1960, danach Teilnutzung z.B. durch Standortfrisör. Zwischen 1986 und 1990 Nutzung durch ASBL "La Chartreuse" bis zur Brandstiftung.
BM9: Kaserne bis 1960
BM10: Kaserne bis 1960
BM11: Geschützkammern, von 1891 bis 1981 als Lager genutzt
BM12: Sanitäranlagen bis 1960
BM13: Funktion unbekannt, 1990 Zusammenbruch
BM14: Brunnen des ehemaligen Gasthauses "Rodberg". Von dort unten Zugang zum Kasernen-Gebäude BM9.
BM15: Wachhaus mit Arrestzellen, illegal abgerissen.
BM22: Maison Advocat Lambinon
Historische Ansichten:
Un Air De Chartreuse
1914-18 La Guerre de nos Héros
Zu den Bauvorhaben:
Le réaménagement du site du Fort de la Chartreuse à Liège - Städtischer Masterplan (PDF)
Un Air De Chartreuse: Stellungnahme zum Bauvorhaben
Le Soir 11/2017: Chartreuse: Matexi devra revoir son projet
La Libre 11/2017: Chartreuse : plus de 5 000 oppositions au projet
RTBF 4/2018: Une nouvelle version du projet Matexi au domaine de la Chartreuse
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Karten und Infos:
ASBL La Chartreuse - Verein zum Schutz des Forts
Photobrol Gaudry - Le fort de la Chartreuse de Liège
Karte mit Pfaden (PDF)
Une source de Chartreuse à Liège ? (PDF) - Untersuchung im Wassertunnel
Louis Thissen: Le fort de la chartreuse (Video)
Urban Exploration in der Frühphase:
Urbexation 2006 bei Opacity
Besuchsbericht von Petr Kazil (2001)
Rooms after rooms - they almost seem to count not in hundreds, but in thousands. The old fort in Liege is partly made of the mighty remains of the casemates above the river Maas, and on the other hand from the barracks complex. Those barracks were enlarged in 1939 for supplying of more crew accommodation - and their buildings are characterized by always looking the same.
A place where you can commit crimes without being disturbed - this thought shoots through my head. I will not know quite how each single room looks like. And in fact - after the end of this trip I had a conversation with a Frenchwoman, which reported that just a boy was murdered here.
Near the fort homeless people are settling, an open fire spreads heat and smoke in this cold day in January. Young people turn away, as soon as I come with my camera in their vicinity. It seems to me that something should be hidden from me ...
The old fortress was built 1817-1823 by the United Kingdom of the Netherlands as a protection against France. Seen from a military point of view the fort was outdated shortly after its completion. It was built to protect the city in combination with the citadel located on the opposite side of the Maas-valley. But the strong increase of the artilleries range made it necessary to relocate the defensive out of the city. Therefore Liege was surrounded with a ring of 12 other fortresses.
1830 belgian insurgents and troops usurped the Fort and marked an important point in the history of Belgian independence. The buildings have been fortified in the 19th Century, but were used only as military barracks.
During August 1914 Liege felt in german hands and now the fort served as a detention camp for belgian soldiers and civilians. 49 men and women lost their lives there - shot during the years 1915 and 1917 because they had logged troop movements. To those the 49 crosses are dedicated, located in the vicinity of the shooting spot. A dark, tunnel-like passage connects it with the prison wing.
In the past it became an annual tradition that school classes defiled along the graves to honor the dead on the anniversary of the war's end.
Between 1918 and 1940 the barracks were expanded again and housed more than 2.000 men at the time of mobilization. During the 2nd World War La Chartreuse served the Germans as a barrack, which buried the several floors high accommodation-buildings below and behind a huge mass of earth. From September 1944 to July 1945 the american military hospital resides here for the injured of the Battle of the Bulge. After the war the old buildings were excavated and the barracks were used by the belgian military.
Today the plant is still a military exclusion zone, even if it hasn't been used for decades and is in the state of increasingly decay. There are rumours that this historic place will be bulldozed over and that apartments will be build there. Soon the site will be hermetically sealed off.
September 2005: The area of the fort got new fences, signs can be seen with a warning about a free-running Rottweiler. This information is absolutely no bluff and seriously! "Yak" runs very fast and has no problems with climbing up stairs.
The site belongs now to a private investor, but the borders to urban and military ground (honorary cemetery) are fluently. The investor is planning the demolition of many buildings (for example the riding arena and stables) and the construction of luxury apartments in the old part of the fort. The entire living area will be closed to the outside and remain inaccessible.
In mid-February I heared that the mentioned above crime of the murdered boy happened somewhat longer ago, but 3 weeks after my visit of the casemates the corpse of a nurse was found. Now - in September - the location of the crime is shown to me. It is a bunker outside the barracks, which serves drug addicts as a meeting point. The adjacent shelter of the homeless people burnt out caused by an uncontrolled burning cigarette.
The long tunnels - reaching kilometers below the outer wall - shall remain accessible.