Die Vorgeschichte:
Angefangen hat es einmal mit einer Burg. Bereits im 13.Jahrhundert wurde an dieser Stelle eine aus Backsteinen gefertigte Burg errichtet, die - ebenso wie etliche Nachfolgebauten - zerstört wurde. 1863 existierte noch ein verfallenes Herrenhaus als letzter Rest eines Festungsbaus, das zu dieser Zeit für ein Brauereigebäude umgebaut wurde. Der Graben, der die Burg umgab, wurde zu großen Teilen mit Gewölbedecken versehen, wodurch kühle unterirdische Lagerräume entstanden. Ein verbliebener Teil des Grabens ist heute noch im überwachsenen südöstlichen Teil zu erkennen. Die Brauerei blieb bis 1891 in Betrieb und wurde im Anschluss daran zu einer Mälzerei umgebaut.
Das Schloss:
Parallel zu den Umbauten auf dem früheren Festungsgelände entstand gleich nebenan ab 1854 das Schloss Branitz. Der Name geht auf Stosz Branicki zurück, der um 1474 Besitzer der Burg gewesen war und der Namenspatron des Ortes geworden ist. Das Schloss mit seinem L-förmigem Grundriss verfügt über 138 Zimmer verschiedener Größe, weitläufige Keller und eine Kapelle. Eingänge befinden sich auf zwei Seiten - auf der Frontseite zur Brauerei und zum heute verwilderten Park.
Die Geschichte des Schlosses ist eng mit der Person von Joseph Martin Nathan verwoben. Er kam 1892 nach seiner Weihe als junger Priester in die Pfarrei Branitz. 1987 konnte er dort für die Marienschwestern ein Haus zur Krankenpflege einrichten. Aus dieser Keimzelle entstanden im Hauptort nach und nach die Branitzer Heil- und Pflegeanstalten. 1903 erwarb Nathan das Schloss auf dem Grund der ehemaligen Burg Branitz, ließ es zwischen 1922-25 renovieren und richtete dort die Erziehungsanstalt St.Raphael für Waisen und gefährdete Kinder ein. Das zugehörige Gut diente den Hilfsbedürftigen der Pflegeanstalten zur Versorgung mit Lebensmitteln. Laut verschiedener Quellen unterstand der Pflegebetrieb im Schloss schon damals dem Psychiatrischen Institut, das zu einem Schwerpunkt der Heilanstalten wurde.
Joseph Nathan war nicht nur seelsorgerisch ein aktiver Mensch, sondern auch 5 Jahre als Abgeordneter im Reichstag tätig. Seine Tatkraft ließ ihn auch in der Kirchenhierarchie aufsteigen, 1943 wurde er schließlich zum Weihbischof ernannt.
Faschismus und Zweiter Weltkrieg:
Die meisten Quellen im Internet reduzieren die Geschehnisse in Branitz auf die letzten Wochen und Monate vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches. Damit einher geht eine recht einseitige Darstellung des Wirkens von Bischof Nathan.
Die Jahre unter dem NS-Regime waren geprägt von seinem Widerstand einerseits und Arrangements andererseits. So versuchte er weitgehend erfolglos mit seinen Verbindungen zur Wehrmacht gegen Gestapo und SS zu agieren. 1936 übernahm die NSDAP die Verwaltung der Klinik, danach begannen bereits Zwangssterilisierungen der Patienten. Noch vor Beginn des Krieges unterzeichnete Nathan eine Vereinbarung mit der Wehrmacht zur Nutzung der Klinik als Reservelazarett und als solches wurde sie ab Juli 1941 mit zuletzt über 2000 Betten genutzt. Bis zum Zeitpunkt kurz nach der Übergabe war die Klinik auf ca. 200 arbeitsfähige Patienten im Anstaltsbetrieb leergeräumt worden. Oder anders formuliert: leer getötet.
Etwa 2000-3000 Patienten aus Branitz gelten bis heute als vermisst. Im August und September 1940 begann man dort mit dem Ausfüllen der T4-Formulare. Mit diesen Formularen übergaben Ärzte die Patienten in das Euthanasie-Programm der Nazis. Laut Aktenbestand im Bundesarchiv wurden 1302 dieser Bögen ausgefüllt. Von Juni bis August 1941 wurden die überwiegend weiblichen Patienten zumeist nach Schloss Sonnenschein bei Pirna in Sachsen deportiert und dort durch Vergasung ermordet. Die voran gegangene Diagnose war in den meisten Fällen "Schizophrenie" - auch ungeachtet der Tatsache, ob diese Patienten zwangseingewiesen waren oder sich selbst dorthin zur Behandlung begeben hatten. Die Vorgeschichte der Patienten interessierte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ein von der Norm abweichendes Verhalten reichte bereits für die Einweisung: Misshandlung in der Ehe, wiederholte Flucht aus dieser, der gewalttätige Ehemann als Vormund und eine durch ihn erfolgte Einweisung - so sah z.B. ein Einzelschicksal aus.
Andere Deportationen führten zur Heil- und Pflegeanstalt ("Lungenheilstätte") in Waldheim (Sachsen). Ende August 1941 war das Euthanasie-Programm als beendet erklärt worden, Tötungen fanden danach nicht mehr in Sonnenschein durch Vergasung statt, sondern dezentral durch die Gabe von Luminal (Phenobarbital) und der Angabe von Lungentuberkulose als Todesursache.
Zu diesen Deportationen kommen noch jene Patienten, die direkt in Branitz verstarben. 1941 waren dies 211 Personen (bei ca. 1500 Betten). Bis 1945 stieg die Zahl auf über 800. Dies umfasst aber nur diejenigen, die mit Branitz als ständigem Wohnort erfasst waren und nicht diejenigen, die nur für einen vorüber gehenden Aufenthalt vorgesehen waren. Ihre Gräber sind bis heute nicht auffindbar. Das Muster, in dem verstorben wurde und die damit offiziell verbundene Todesursache legen es nahe, dass sich Branitz - die vormalige "Stadt der Liebe" - zu einen Ort des allgegenwärtigen Todes verwandelt hatte.
Wie konnte Nathan das alles zulassen? Aus einem Gesprächsprotokoll weiß man, dass Nathan emotional bewegt um das Überleben der leichter erkrankten kämpfte, die noch zu Arbeiten in der Anstalt fähig waren. Viel spricht auch dafür, dass er Zugeständnisse machte um weiterhin seiner Glaubens- und Missionstätigkeit nachgehen zu können und auch an seinem Karriereziel weiter festhalten zu können. Ebenso wird Erpressbarkeit vermutet, die mit der Finanzierung der Anstalt, Sexualdelikten seiner Priester und der Androhung eines gottlosen Todes seiner Anvertrauten zusammen hängen könnte. Man weiß es nicht. 1943 erlangte er die Bischofswürde.
Das Reservelazarett:
Branitz war bereits zur Zeit des ersten Weltkrieges ein Reservelazarett gewesen. Im Frühjahr 1939 ging Nathan eine vertragliche Bindung mit der Wehrmacht ein, die dort erneut ein Reservelazarett betreiben wollte. Dieser frühzeitige Vertragsabschluss kam wohl deshalb zustande, um eine stärkere Einflussnahme der SS zu verhindern. 1941 verlangte die Wehrmacht mit Nachdruck eine leere Anstalt, um dort das Reservelazarett für die ständig wachsende Zahl von Verwundeten zu installieren. In diesen Zeitraum fällt auch die Zeit mit der höchsten Todesrate der Patienten.
Bis zum Januar 1942 waren dann alle verfügbaren 1522 Betten mit verwundeten und nervengeschädigten Soldaten belegt. Es gibt starke Hinweise darauf, dass das Euthanasie-Programm an schwer geschädigten Soldaten fortgeführt wurde. Eindeutige Dokumente belegen, dass es Auswahlkriterien gab. Normalen Kriegsteilnehmern wurde dabei kein Pardon gegeben, wohl aber solchen, die an der Front Auszeichnungen für Tapferkeit erhalten hatten. Im August 1944 wurden durch die Wehrmacht solche Auszeichnungen massenhaft an dort einliegende Soldaten vergeben. Offensichtlich gab es Kräfte, die die Staatsdoktrin nicht mehr unterstützen konnten.
Exakte Zahlen zu den Todesfällen sind schwer nachweisbar, Soldaten wurden mit tatsächlich erworbener TB eingeliefert und daher konnte diese auch eine plausible Todesursache darstellen. Zahlreiche Ungereimtheiten in alten Akten deuten jedoch auf eine andere Verfahrensweise hin, die in dieser Zeit als naheliegend bezeichnet werden kann, aber (zumindest hier) nicht klar belegbar ist: die Entledigung von schwer geschädigten Soldaten, die dem Staat zur Last fallen und nicht wieder an die Front zurück kehren können.
1945:
Neben dem Betrieb als Reservelazarett war auch noch immer ein kleiner Bereich mit zivilen Stationen belegt. Dorthin wurden 1944 500-600 Geistes- und Typhuskranke aus der staatlichen Heil- und Pflegeanstalt in Rybnik vor der heran rückenden Frontlinie verlegt. Am 24.Januar 1945 wurde der letzte Todesfall im Reservelazarett in den Akten vermerkt. Offenbar wurde das Lazarett danach geräumt und nur die zivilen Patienten blieben zurück. Bis zum 18.März gibt es Eintragungen in die Totenliste der Klinik, die Sterberate lag bei ca. 10 Prozent.
Die Hauptkampflinie näherte sich nun dem Ort. Im Klinikbereich hatten sich weitere Zivilisten aus der Umgebung eingefunden, zumeist Alte und Schwache, die dort Schutz suchten. Am 26.März vermerkte Nathan, dass alle Gebäude offen stehen und es zu Plünderungen kommt. Die Wehrmacht stellte gegen Nathans Proteste Sturmartillerie innerhalb des Geländes auf und baute es zu einem Verteidigungsposten um, dieser wurde damit auch zum Ziel des gegnerischen Artilleriefeuers. Wochenlang harrten an die 1000 Patienten und Flüchtlinge in den Luftschutzkellern der Klinik aus. Am Abend des 1.April 1945 erging dann der Befehl an Nathan, die Anstalt mit allen gehfähigen Patienten zu verlassen. Etwa 600 Menschen machten sich daraufhin auf den Weg in Richtung Freudenthal und der Anstalt in Troppau. Zurück blieben etwa 200 transportunfähige Psychiatriepatienten und 17 Krankenschwestern sowie 23 weitere junge weibliche Pflegekräfte.
Es gab im Vorfeld Überlegungen auf Seiten kirchenfeindlicher Bediensteter den Heizraum zu sprengen, um eine weitere Nutzung zu verhindern - und damit auch das Überleben vor Ort unmöglich zu machen. Dazu ist es aber nicht gekommen.
Nach dem Ende der Kampftätigkeiten und dem Einzug der Russen am 2.Mai 1945 kehrte Nathan wenige Tage später zurück, etwa insgesamt 600 Patienten verteilten sich nun auf drei Häuser. Im September 1945 wurde Nathan seines Amtes enthoben und im Dezember 1946 des Landes verwiesen.
Nachkriegszeit:
Nach Kriegsende kehrten die Pflegeinstitute und Stationen wieder zurück nach Branitz, das seitdem Branice heißt. Instandsetzungsarbeiten wurden durchgeführt und bis 1982 wurden hier wieder psychisch chronisch erkrankte Menschen behandelt.
1996 ging das damals bereits verlassene Schloss ohne finanzielle Gegenleistung von der Krankenhausverwaltung in den Besitz der Gemeinde über, was sich auch nach 20 Jahren nicht geändert hat. Der Mangel an Instandsetzungsarbeiten setzt dem Gebäude mehr und mehr zu. Sein äußeres Erscheinungsbild ist als schützenswert in eine regionale Denkmalliste eingetragen, das Innere jedoch nicht. Es gibt wohl die üblichen Pläne zu einer Neunutzung als Hotel, Konferenz- oder Freizeitzentrum. Aber im Ernst: wer möchte das mit dieser Historie verbinden und dann noch in tiefster Provinz investieren? So bleibt dem früheren Schloss wohl nur der offenbar vorbestimmte Weg zur Ruine.
Literatur:
Barbara Degen: Leuchtende Irrsterne - Das Branitzer Totenbuch: "Euthanasie" in einer katholischen Anstalt (VAS-Verlag für Akademische Schriften 2005, 228 Seiten, ISBN 3-88864-402-X)
Links:
Fotopolska - Zamkiem Branickim
Sokoli Szlak - pałac w Branicach
Polska Niezwykla - Pałac zwany zamkiem
Eksploratorzy - Branice Zamek
Tenhumberg: Reservelazarett Branitz
englischer Text