Vergleicht man die Fotos, die hier im Laufe der Jahre entstanden sind, wird wieder einmal deutlich, wie sich ein Ort verändert. Zuerst verschwanden die Textilbezüge auf der Empore der Kapelle, dann Beichtstuhl und Bänke - und dann kamen die Schmierfinken, die keine Wand mehr ungeschoren ließen. Wie es heute im Jahr 2020 dort aussieht, weiß ich nicht. Nach meinen Informationen ist der Ort 2019 durch ein erneutes Feuer weiter geschädigt worden.
2012 war die Bausubstanz vor allem im Heimbereich bereits kritisch. In einem Zimmer drohten Heizkörper und Bett mitsamt des nachgebenden Bodens langsam in der Tiefe zu verschwinden und auch der Flur davor war nicht mehr ein Ausbund an Stabilität. Und ein zurückliegender Brand machte das Betreten der Kapelle zu einem unangenehm geruchsintensiven Erlebnis.
Agnus Dei - so in der Urbex-Szene nach einer Wandinschrift benannt - ist Opfer seiner Popularität geworden. Der Name und Standort ist in diversen Fotoforen zu finden und zog daher nicht nur den Durchschnittsknipser an, der auch mal ein wenig "Urbex-Luft" schnuppern wollte.
Die Sachinformationen, die zu diesem Standort im Netz zu finden sind, gehen nahezu ausschließlich auf Andre Joosse von UrbeX.nl zurück - mal einfach frech von dort kopiert oder übersetzt, mal ein wenig umformuliert.
Zwischen 1871 und 1878 gab es in Deutschland einen Streit zwischen liberalen und konservativen katholischen Kräften um die Einflußnahme auf staatliche Belange. Der damalige Reichskanzler Bismarck strebte die Trennung von Kirche und Staat im neu gegründeten Deutschen Kaiserreich an. Dies stieß auf den erbitterten Widerstand einer gut organisierten katholischen Minderheit, die sich durch Papst Pius IX. gestärkt sahen. Am Ende des Kulturkampfes waren an die 1800 katholische Pfarrer inhaftiert und ein millionenschweres Kirchenvermögen beschlagnahmt.
Innerhalb der katholischen Klosterorganisation wurden gläubige Wohngemeinschaften von Frauen oftmals den Dominikanern oder Franziskanern zugeordnet. Ihre Zahl reduzierte sich in Deutschland nach dem 30-Jährigen Krieg und weiter während der französischen Besatzungszeit. In der folgenden Zeit des "Kulturkampfes" beschloss eine ihrer Kongregationen nach Belgien umzusiedeln, wo sie Grund und Boden vom Grafen Bourcieu de Montereux zur Verfügung gestellt bekamen, der 1908 schließlich in ihren Besitz überging. Die kleine Klosteranlage wurde 1910 um die Antonius-Kapelle erweitert, deren Architekt Émile Deshayes aus Lüttich war. Im benachbarten Gebäude war zunächst eine katholische Schule untergebracht. Nach dem ersten Weltkrieg änderte sich die Nutzung, nun umsorgten die Ordensschwestern verheiratete und allein stehende Senioren. Im September 2002 zogen die Franziskanerinnen mit ihrem Altenheim nach Banneux in einen anderen, moderneren Gebäudekomplex. Kurz danach brach ein erstes Feuer in einem der leer stehenden, an eine Privatperson verkauften Altbauten aus. Wegen des Streits zwischen neuem Eigentümer und Versicherung sind seitdem keine Erhaltungsmaßnahmen getroffen worden.
Couvent de Gensterbloem 2009-2016 (UrbeX.nl)
peinliches Video, aber immerhin von 2019
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Bismarck und die Folgen - Vater Staat und Mutter Kirche